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Im rehaVital-Interview: Florian Sitzmann

Der halbe Mann – diese Selbstbeschreibung wählte Florian Sitzmann nach einem schweren Motorradunfall 1992, im Alter von 15 Jahren, bei dem er beide Beine verlor. Sie wurde später der Titel seines ersten Buches, in dem er die Zeit nach dem Unfall verarbeitete und auf seine charmante und direkte Weise beschrieb, wie er aus der vermeintlichen Lebenskrise eine große Chance machte. Bekannt ist Florian Sitzmann auch durch seine erfolgreiche Karriere als Behindertensportler im Handbiking, u.a. bei den Paralympics 2004. Mittlerweile ist er „Sportrentner“ und nutzt u.a. seine Popularität für den guten Zweck. rehaVital hat Florian Sitzmann getroffen und mit ihm über das Handbiking, seinen (sportlichen) Werdegang und seine „Miles for Hope“-Hoffnung für Kinder Tour gesprochen.

Herr Sitzmann, wie sind Sie eigentlich zum Handbiken gekommen?

Ich war 1996 bei sternTV eingeladen - damals noch bei Günther Jauch. Und eben diese Sendung habe ich mir dann später nochmal auf der guten alten VHS-Kassette angeguckt. Auf dieser Aufzeichnung sah ich dann so ein kleines, glänzendes, dickes Schweinchen auf der anderen Seite sitzen und habe mich gefragt, wer das eigentlich ist und fand das furchtbar mich so zu sehen. Das war der Moment in dem ich wusste; es muss sich etwas an meinem Lebensstil ändern. Meine Eitelkeit hatte das Steuer übernommen.

Ich hatte damals, vier Jahre nach meinem Unfall, noch nicht so viel mit Sport am Hut. Ich habe mich zwar immer gern bewegt, aber ich hatte damals einfach andere Themen. Ich musste erst einmal mit meinem neuen Körper, mit diesen ganzen veränderten Umständen und natürlich auch mit dem Rollstuhlfahren klarkommen. Da habe ich noch nicht an Sport gedacht – sondern eher ans Essen und das Genießen. So habe ich mich dann im Fernsehen gesehen und es hat mich daran erinnert, dass ich eitel bin (lacht). Im Grunde habe ich da mit dem Sport und dem Handbiken angefangen. Also noch nicht mit dem Leistungssport, sondern mit einem Vorspannrad am Rollstuhl. Mit dem habe ich mich gerne und oft bewegt. So fing das an.

Und wie sind Sie dann genau auf das Handbiken gekommen? Durch Ihren Versorger? Das Internet gab es ja damals noch nicht so richtig, in dem man hätte suchen können.

Ja, es war damals mein Versorger im Heidelberger Raum, der mich da hingebracht hat. Ich wurde in dieser Zeit bei Rehability versorgt– leider gibt es diese Firma so nicht mehr. Ich habe damals eine Ausbildung als Kaufmann dort gemacht und mich dann später auch um drei Azubis gekümmert. Es war im Jahr 1996, ich war der erste Azubi im Unternehmen und hatte damit dann auch einen direkten Zugriff zu allen möglichen Hilfsmitteln, die ich dann frei nutzen konnte. Der dortige Geschäftsführer und mein Freund Michael Heil, der heute leider bereits verstorben ist, hat mich wiederum zum Handbiken und zum Leistungssport gebracht. Er hat mich oft damit aufgezogen und geneckt, dass ich beim Training immer hinter ihm hergefahren bin auf dem Feld - monatelang. Er hat immer gesagt „Hey, komm du kleines Dickerchen, du musst Gas geben und dranbleiben!“ in diesen Momenten habe ich mir schon gedacht: Irgendwann mein Freund, da fährst DU MIR hinterher und siehst mich von hinten. Und dann bin ich einfach drangeblieben. Motivation hatte ich nicht jeden Tag. Aber Disziplin, bei jedem Wetter und Gemütszustand auf mein Bike zu steigen, das hatte ich immer. Und so wuchs die Motivation mit dem Erfolg automatisch nach.

Da ich im Reha-Fachhandel gearbeitet habe, hatte ich natürlich auch immer die neuesten Handbike-Modelle zur Verfügung. 

Und wie wurden Sie dann zum Leistungssportler?

Ich wollte recht schnell weg vom Vorspannbike hin zum Rennbike und habe dann mein erstes Sopur-Bike von Sunrise Medical bekommen, das war mein erstes Liegerad. Das war damals, glaube ich, noch das „Spirit 470“. Ich war total stolz darauf. Und ich war sehr dankbar, weil das damals noch die Krankenkasse bezahlt hat. In dieser Zeit haben manche Leute das Rad „Stahlschwein“ genannt, obwohl es nicht aus Stahl war. Es war ja schon ein Alurahmen. Aber es war in verschiedenen Komponenten ein bisschen schwerer als andere Gefährte, die so am Start standen bei diesen Rennen. Aber auch deshalb, weil es für mich an der ein und anderen Stelle verstärkt wurde. Mein Spruch zu anderen vermeintlich besser ausgestatteten Fahrern war immer: „Wenn du kein Michael Schumacher bist (grinst), brauchst Du auch keinen Ferrari. Trainier Du erst mal richtig.“

Mit meinem Sopur-Rad war ich dann so eingeschossen, dass ich 2002 der Newcomer in der Handbike-Szene war. Ich habe dann in der deutschen Meisterschaft im Straßenrennen Gold gewonnen, beim Einzelzeit-Fahren Silber, auch weil ich mich damals noch nicht so gut selber quälen konnte. Es war eben der Start meiner Leistungssport-Karriere. Und damit habe ich mir auch dann direkt mein Ticket gelöst für die Weltmeisterschaft. Ich habe damals natürlich gedacht „Boah geil, fliegen wir jetzt mal in die USA.“ Dann war die WM aber tatsächlich in dem Jahr im Allgäu in „Good old Germany“. Ich bin natürlich auch aus Leidenschaft angetreten und gleich im ersten Anlauf Vize-Weltmeister geworden, mit nur einer guten Sekunde Rückstand auf Gold. Das war auch für uns gut, als Team Sunrise, weil das Bike einfach ganz vorne mit mir auf dem Treppchen stand. Es hat super funktioniert, das Bike war perfekt auf mich abgestimmt. Man hatte in der Zwischenzeit noch zwei Streben extra eingezogen, weil ich einfach so eine abartige Kraft hatte an der Kurbel, dass sich das Rad ein bisschen verwunden hatte. Deswegen wurde dieser Teil des Bikes versteift.

Sie sind also seit damals im Team Sunrise aus Überzeugung.

Auf jeden Fall! Man hat damals schon bei Sunrise Medical, so wie heute - ich kann das ja auch aktuell berichten - einfach für den Sportler alles getan, damit das Gerät mit ihm verschmilzt. Das ist also wirklich „Custom-built“ und das macht die Zusammenarbeit für mich aus. Alle aus dem Team von Sunrise, die mit mir zu tun hatten, auch für die Tour letztes Jahr (Anm. der Red.: Miles for Hope-die Hoffnung für Kinder Tour), haben einfach verstanden, was ich brauche. Na gut, jetzt habe ich natürlich viel Erfahrung in dem Bereich und weiß, wie ich es mir vorstelle, aber das muss ja auch so umgesetzt werden. Es ist ja nicht immer gesagt, dass es dann auch so wird, wie man sich das wünscht.

Es war auch schon immer so, dass die Produkte von Sunrise Medical für mich die attraktivsten waren. Und deswegen hat sich das bei mir so etabliert und ich hatte niemals den Gedanken, da was anderes zu benutzen. Das hat auch etwas mit Zuverlässigkeit zu tun. Das ist einfach ein vernünftiges Produkt, auf das ich mich verlassen kann. Wenn ich jetzt irgendwo deutschlandweit unterwegs bin, im deutschsprachigen Raum und plötzlich klappt da was zusammen, dann habe ich ein Problem. Ich kann nicht einfach irgendwo in einen Laden gehen und mir neue Schuhe kaufen, weil die Sohle abfällt, sondern ich habe dann ein Problem. Oder im Ausland, oder sowas. Insofern hat es auch was mit Qualität und Zuverlässigkeit zu tun und da bin ich seit 25 Jahren bei Sunrise Medical zuhause. Es ist sehr authentisch.

Was war denn in Ihrem Leben die bisher größte Herausforderung – sowohl sportlich, als auch persönlich?

Eine große Herausforderung war natürlich die Zeit nach meinem Unfall, in der ich erstmal Rollstuhlfahren lernen und einfach ein neues Leben starten musste. Aber ich habe das nicht mehr so präsent bei mir, weil ich immer einen Plan hatte. Für mich ging es immer geradeaus, vorwärts und auch immer nach oben. Ich habe relativ schnell verstanden, dass das Leben nicht vorbei ist, aber auch, dass ich nur eines habe. Das hat mir sehr geholfen, mich da einzuordnen und mich auf die richtige Schiene zu setzen.

Eine weitere Herausforderung war z.B., als ich mich lange darauf vorbereitet hatte, 2004 zu den Paralympics nach Athen zu fahren. Als das dann nicht so gelaufen ist, wie ich mir das vorgestellt habe, war ich plötzlich in einem Motivations-Tief. Das war auf jeden Fall eine Herausforderung für mich, weil ich da mit mir selber zu tun hatte und mit meinem nicht befriedigten großen Ego. Das war extrem schwierig.

Würden Sie sagen, dass Sie dieser Rückschlag bei den Paralympics 2004 persönlich vorangebracht hat, also diesen verarbeitet zu haben?

Das hat mich auf jeden Fall weitergebracht. Es hat nicht sonderlich lange gedauert, bis ich wieder aufs Fahrrad stieg. Ich bin damals aus Athen nach Hause gekommen, hab das Rad in die Ecke gestellt und gedacht, ich werde mich da nie wieder draufsetzen. Die Erfahrung war einfach zu schmerzhaft, ich war so enttäuscht und deprimiert von diesem schlechten Ergebnis. Auch weil ich so viel dafür getan hatte und weil ich auch wirklich ehrgeizig bin. Dann kam der Winter – ich erzähle immer meinem Vortragspublikum „Und dann gab es Gans und Klöße“ – dann kam der Frühling und da habe ich gemerkt: „Oh, da ist was an dir hängen geblieben, da müssten wir schonmal wieder was tun, damit das wieder verschwindet.“ Denn da war ich auch wieder eitel, klar. Ich habe wieder angefangen, zu fahren und habe mich damit ein Stück weit selbst therapiert und bin im Jahr darauf auf einer Veranstaltung ein Rennen gefahren, bei dem die schmerzhafte Erfahrung von Athen quasi glattgebügelt wurde.

Das war 2006. Ich fuhr ein Langstreckenrennen quer durch Norwegen., Styrkeprøven, „die große Kraftprobe“ heißt das Ding. Das ist auch wirklich sehr sehr anstrengend. Ich bin das Rennen in 30,5 Stunden nonstop durchgeradelt und das war im höchsten Maße kräftezehrend. Aber es war eben eine Zeit, in der ich mir und auch der Welt beweisen musste, dass ich der Ochs bin, der das packen kann. Und das war dann auch so, Gott sei Dank. Spätestens seit dieser Aktion ist eins meiner Mottos: „Jedes Scheitern in einer Sache kann der Startschuss für etwas noch größeres sein“.

Sie engagieren sich auch für die Stiftung „Hoffnung für Kinder“, haben dafür im letzten Jahr eine Handbike-Tour organisiert. Wie kam dieses Projekt zustande?

Der Grundgedanke war: Ich sitze jetzt 30 Jahre im Rollstuhl, habe mein Jubiläum und ich möchte es nicht einfach so verstreichen lassen, sondern es soll dazu da sein etwas Großartiges für einen guten Zweck zu veranstalten. Mein bester Freund Max Beyersdorf ist Triathlet und wir sind gleich verrückt. Wir haben dann zusammen ausgeheckt, dass wir zu Gunsten der Stiftung „Hoffnung für Kinder“ der Volksbank Darmstadt von Hamburg nach Garmisch-Partenkirchen fahren und Geld einsammeln. Und so kam eins zum anderen. Ich hatte ein ganzes Jahr Vorbereitung für die Tour.

Für mich selbst wollte ich es auch einfach nutzen, um mir bewusst zu machen, dass ich bereits 3 Jahrzehnte gut durchgekommen bin und auch noch weiterhin Kraft habe. Es gibt ja auch viele Freunde und Kollegen, die heute nicht mehr da sind. Michael Heil, mein Mentor und Freund, den ich vorhin schon erwähnt habe, ist beim Handbike-Training mit einem Auto kollidiert und starb an der Unfallstelle. Es ist nichts selbstverständlich, man muss einfach dankbar sein für jeden Tag, der da auf einen zukommt.

Und so bin ich mit meinem Team, insgesamt acht Personen, von Hamburg bis nach Garmisch-Patenkirchen geradelt. Wir sind an der Elbphilharmonie gestartet. Ziel war nicht nur, da unten anzukommen, sondern auf dem Weg möglichst viel Geld für die Stiftung zu sammeln. Ich wohne ja in der Nähe von Darmstadt. Die Volksbank Darmstadt Südhessen war der Hauptsponsor der „Miles for Hope – Hoffnung für Kinder“-Tour. Deren Stiftung heißt auch „Hoffnung für Kinder“. Das ist im Grunde das, was ich immer wollte: Ich wollte eine unterstützenswerte Sache haben, die bei mir in der Nähe ist. Eine, die auch gerne auf mich zugreifen kann, wenn es eine Aktion gibt. Die Wege sollten kurz sein, so dass man schnell reagieren kann. Es gibt eine langjährige und erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Volksbank. Auch deswegen habe ich sozusagen offene Türen mit meiner Tour eingerannt.

Für die Tour habe ich von Sunrise Medical ein Bike bekommen, das auch wirklich perfekt funktioniert hat. Wir hatten wirklich keine Materialprobleme, bis auf einen platten Reifen. Aber das passiert einfach, wenn man 1.000 km durchs Land rollt und nicht immer den astreinen Asphalt unter sich hat.

Unterm Strich haben wir über 60.000 € an Spendengeldern für die Stiftung eingesammelt. Es war fast die Hälfte der Gesamtspendeneinnahmen der Stiftung vom letzten Jahr. Wir sind wahnsinnig stolz darauf. Aber worauf wir noch stolzer sind, und da spreche ich für alle aus meinem Team, das ist die positive Welle, die wir vor uns hergeschoben haben. Dass es schon, bevor es losging, so viel positive Presse gab über die gesamte Aktion und um die Tour herum viele mediale Auftritte, ob das jetzt bei sternTV war, oder im Radio, Podcast, Zeitung. Es reißt bis heute nicht ab und ich verlängere das solange es geht.

Ausgezeichnet mit dem Plus X Award - das Shark RS Handbike

Das innovative Rahmendesign des Handbikes Shark RS ermöglicht beste individuelle Positionierung. Der Rahmen umschließt den Fahrer. Dort, wo die Kraft eingeleitet wird, wird sie direkt in Vortrieb umgesetzt. Ein tiefer Schwerpunkt und breiter Radstand ermöglichen hohe Kurvengeschwindigkeiten bei maximaler Stabilität.

Dieses Handbike der Sunrise Medical GmbH ist mit dem Gütesiegel "Bestes Produkt des Jahres 2013", Innovationspreis Plus X Award ausgezeichnet.

Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit Florian Sitzmann und der Sunrise Medical GmbH entstanden.